Habe nun ein Buch LECHRAUSCHEN - Landsberger Geschichten veröffentlicht
Mit Kurzgeschichten von meinem Vater (1899-1967) und von mir über meine Geburtsstadt Landsberg am Lech, Familie und andere Personen. Dazu einige Fotos als Ergänzung.
Lechrauschen ist nicht nur das Lechwehr, sondern der philosophische Gedanke, das im Laufe eines Lebens viel Energie in Sprache und Handlung durch uns fliesst, vom Ursprung bis in die Vergänglichkeit.
Erhältlich über Amazon für € 11,80
LANDSBERGER GESCHICHTEN - rund um Landsberg am Lech
Bunte Geschichten, bedeutende Rückblicke, besondere Erlebnisse, rund um Landsberg am Lech
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Montag, 23. Januar 2023
Freitag, 11. November 2022
Brief meiner Mutter vom 20.9.1980
Aus einem Brief meiner Mutter vom 20.9.1980:
Ich denke heute, inzwischen 21.9., viel an die Zeit vor 30 Jahren zurück. Welche unruhige Zeit im Krankenhaus, weil sich die Wehen nicht einstellen wollten, die den neuen Erdenbürger auf diese Welt befördern sollten! Alles wurde angewandt, schließlich musste Vater mich auf ärztliche Verordnung spazieren führen, Wege wenn möglich mit Treppen. Die Treppen von der Sandauer Vorstadt zum Hohen Kreuz sind mir ein Trauma geblieben, so oft und mit Beschwerden habe ich sie erklommen. Ich glaube, ich habe sie später nie mehr benutzt. So erklommen wir sie auch am Vormittag der Niederkunft und setzten uns anschließend auf die erste Bank am Hang beim Lechsteg. Wir waren beide etwas bedrückt, denn wenn wieder erfolglos, sollte operiert werden, Da, ein hoffnungsvolles Omen; ein Kaminkehrer ging an uns vorbei. Man mag uns heute abergläubisch belächeln, wir sprangen auf und gingen zum Krankenhaus zurück. Zwei Stunden später kam ein Riese von Kind zur Welt, das warst Du. Der Chefarzt Dr. Sedelmayer sagte staunend; "Ein mords Bua!" Vater war sehr aufgeregt über dieses Ereignis, er hat dann gleich Urlaub genommen. Und so nahm Dein Erdenleben seinen Lauf.
Getauft wurde gleich im Krankenhaus. Du bekamst den Namen von Deines Vaters liebsten Lehrers: Peter, nach Peter Dörfler. Die Namen meiner beiden Brüder Hans und Heinrich wurden drangehängt.
Zum Einstand in die Wohnung wurde ein kleines Fest gefeiert; Fips (Dr. Seitz-Reinlein), Marianne (Dr. Marianne Seidlmayer), und Ursel Lehmann (Rechtsanwältin und Mutter von Ingo, welcher einen Monat vor mir zur Welt gekommen war) waren die Gäste. Der Konsum war bescheiden, es gab Bratwürste und nach Wunsch Bier oder Wein. Die Verwandtschaft kam gruppenweise, einmal die Hitzlers und dann der Hiesingerclan. Am begeisterten über den Zuwachs war Dein Bruder Fritz. Er gab Dir der Reihe nach die unterschiedlichsten Kosenamen wie Churchill -wie dick-, Engelshaar, Dicker und erstmalig tauchte der Name Peti auf, der Dir für die ganze Kindheit blieb und der sogar heute noch manchmal herumgeistert. Die Säuglingspflege war für mich aufregend, nach fünfzehn Jahren hatte ich alles vergessen. Doch Du wurdest gross und wuchsest und wuchsest ohne Einhalten.
So hänge ich heute meinen Gedanken nach und sie schweifen meist in der Erinnerung. Es sind heute besonders milde Gedanken, so mild, wie dieser Altweibersommer, der unseren Garten erfüllt und dessen sanfte Sonne mir auf die Schreibmaschine scheint. Sie will mir sagen, das in der Entfernung, seis Zeit oder Ort vieles vergoldet erscheint, was es wohl in Wirklichkeit nicht war. Aber wert wars, es erlebt zu haben.
Ich habe schon ewig keinen Brief mehr geschrieben, Du musst an Stil und Tippfehlern einiges nachsehen. Er sollte zum nüchternen Geldgeschenk ein Gegengewicht darstellen.
Alles Gute und Glück auf Deinen Wegen
Deine Dich liebende Mutter
Sofia Burger
Ich denke heute, inzwischen 21.9., viel an die Zeit vor 30 Jahren zurück. Welche unruhige Zeit im Krankenhaus, weil sich die Wehen nicht einstellen wollten, die den neuen Erdenbürger auf diese Welt befördern sollten! Alles wurde angewandt, schließlich musste Vater mich auf ärztliche Verordnung spazieren führen, Wege wenn möglich mit Treppen. Die Treppen von der Sandauer Vorstadt zum Hohen Kreuz sind mir ein Trauma geblieben, so oft und mit Beschwerden habe ich sie erklommen. Ich glaube, ich habe sie später nie mehr benutzt. So erklommen wir sie auch am Vormittag der Niederkunft und setzten uns anschließend auf die erste Bank am Hang beim Lechsteg. Wir waren beide etwas bedrückt, denn wenn wieder erfolglos, sollte operiert werden, Da, ein hoffnungsvolles Omen; ein Kaminkehrer ging an uns vorbei. Man mag uns heute abergläubisch belächeln, wir sprangen auf und gingen zum Krankenhaus zurück. Zwei Stunden später kam ein Riese von Kind zur Welt, das warst Du. Der Chefarzt Dr. Sedelmayer sagte staunend; "Ein mords Bua!" Vater war sehr aufgeregt über dieses Ereignis, er hat dann gleich Urlaub genommen. Und so nahm Dein Erdenleben seinen Lauf.
Getauft wurde gleich im Krankenhaus. Du bekamst den Namen von Deines Vaters liebsten Lehrers: Peter, nach Peter Dörfler. Die Namen meiner beiden Brüder Hans und Heinrich wurden drangehängt.
Zum Einstand in die Wohnung wurde ein kleines Fest gefeiert; Fips (Dr. Seitz-Reinlein), Marianne (Dr. Marianne Seidlmayer), und Ursel Lehmann (Rechtsanwältin und Mutter von Ingo, welcher einen Monat vor mir zur Welt gekommen war) waren die Gäste. Der Konsum war bescheiden, es gab Bratwürste und nach Wunsch Bier oder Wein. Die Verwandtschaft kam gruppenweise, einmal die Hitzlers und dann der Hiesingerclan. Am begeisterten über den Zuwachs war Dein Bruder Fritz. Er gab Dir der Reihe nach die unterschiedlichsten Kosenamen wie Churchill -wie dick-, Engelshaar, Dicker und erstmalig tauchte der Name Peti auf, der Dir für die ganze Kindheit blieb und der sogar heute noch manchmal herumgeistert. Die Säuglingspflege war für mich aufregend, nach fünfzehn Jahren hatte ich alles vergessen. Doch Du wurdest gross und wuchsest und wuchsest ohne Einhalten.
So hänge ich heute meinen Gedanken nach und sie schweifen meist in der Erinnerung. Es sind heute besonders milde Gedanken, so mild, wie dieser Altweibersommer, der unseren Garten erfüllt und dessen sanfte Sonne mir auf die Schreibmaschine scheint. Sie will mir sagen, das in der Entfernung, seis Zeit oder Ort vieles vergoldet erscheint, was es wohl in Wirklichkeit nicht war. Aber wert wars, es erlebt zu haben.
Ich habe schon ewig keinen Brief mehr geschrieben, Du musst an Stil und Tippfehlern einiges nachsehen. Er sollte zum nüchternen Geldgeschenk ein Gegengewicht darstellen.
Alles Gute und Glück auf Deinen Wegen
Deine Dich liebende Mutter
Sofia Burger
Donnerstag, 10. November 2022
Die Kraft der Vergebung
Die Kraft der Vergebung
In persönlichen Dialogen erfuhr ich eine Lebensgeschichte welche mich sehr berührt hat. Ein ganze jüdische Gemeinde einer Stadt in Transilvanien wurde in das KZ Ausschwitz deportiert. Dabei auch die komplette Familie von Pinhas, der als Einziger überlebte. Er kam mit 12 Jahren ins KZ Dachau und wurde als Sechzehnjähriger total ausgemergelt von den Amerikanern befreit. Mit 1,80 m Körpergrösse wog er nur noch 36 kg, also nur noch ein reines Knochengerüst. Er wurde von den Amerikanern in München ein halbes Jahr versorgt und wieder auf seine eigenen Beine gestellt. Dann begann er über das Rote Kreuz seine Angehörigen zu suchen, bis er merkte, das keiner das Grauen überlebt hatte. Ausser ihm hat von seiner Familie keiner überlebt. Seine Brüder, Schwestern, Onkel und Tanten, die Grosseltern und alle anderen waren umgekommen.
Heimatlos machte er sich auf den Weg in Richtung Israel, kam per Schiff dort an und wurde von der englischen Besatzungsmacht zurück gewiesen. Das Schiff mit allen Flüchtlingen musste nach Limasol auf Zypern, wo er dann über ein Jahr in einem Camp warten musste. Dann gelang ihm die Einreise nach Israel. Seine Geschichte erinnert mich sehr an die verfilmte Geschichte der Exodus. Denn kaum in Israel angekommen begann der Befreiungskrieg und 1948 die Ausrufung des Staat Israel. Er als Kämpfer mitten drin und wurde Teil der Armee, in der er Karriere machte und einer der leitenden Führungskräfte (General) wurde. In der Armee lernte er seine Frau kennen, welche dort eine Offizierin war. Vier Kinder kamen dazu und er tat alles um denen ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Erst als diese voll erwachsen waren hat er ein Familienbuch für diese erstellt und darin seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben. Die vier Kinder staunten nur, da er früher nie darüber geredet hatte. Er wollte sie als Kinder nicht damit belasten.
Als 85 jähriger hat er alles für sich aufgearbeitet und ist im Frieden mit seiner Vergangenheit und hat den Deutschen voll vergeben. Was für eine Grösse !
Er hat nie ein schlechtes Wort über die Deutschen gesagt und hat der Vergangenheit verziehen.
Als ich darüber nachdachte dieses "exemplarische Leben" in einem Buch umzusetzen, winkte er dankend ab. Er sagte, das es wirklich schon genug Geschichten gibt und dieses Kapitel der Vergangenheit nicht allzusehr in Deutschland überbeansprucht werden sollte. Denn die junge Generation heute soll sich nicht mehr schuldig fühlen für das was ihre Grossväter verursacht haben. Er meint das es genug Aufklärungsbücher und Filme gibt und das es wichtiger ist dies jungen Menschen bei Lesungen oder bei Besuchen in den Schulen zu erzählen, aber ohne den jungen Menschen immer das Gefühl zu geben, das sie für die Vergangenheit bezahlen müssten. Aber sehr wohl zu verstehen geben, das so etwas nie wieder passieren darf, gerade auch in der heutigen Situation, in der es viele Flüchtlinge anderer Nationen in Deutschland gibt, welche hier manchmal nicht gern gesehen oder nicht geduldet werden.
Er ist ein Mann ohne Zorn, mit einem vergebenden Herzen und einer grossen Seele.
Den jungen Israelis vermittelt er in Vorträgen im Holocaustmuseum Yad Yashem seine Erlebnisse und Erfahrungen aus seinem Leben. Diese sind von diesem Zeitzeugen alle tief beeindruckt, da er für den Frieden und die Vergebung einsteht.
Auch mich hat dieses Leben und seine Transformation tief berührt und beeindruckt.
Peter Burger
3.11.2013
Aus "Der Fluss der Zeit strömt durch uns" P.H. Burger Verlag
-----
Und diese Geschichte hatte eine Fortsetzung, da Pinhas über das Internet einen weiteren Überlebenden seines Dorfes ist den USA fand. Dieser wurde einer der reichsten Kunsthändler von Amerika. Da selbst kinderlos verteilte er nun im hohen Alter sein Vermögen. Er zog nach Israel und besuchte jede Woche an einem Tag mit Pinhas soziale jüdische Einrichtungen und gab denen Teile seines Millionenvermögens. Die beiden Alten halfen wo es nur ging. Pinhas kannte alle seriösen Organisationen und beriet den Kunsthändler. Gemeinsam gaben sie das weiter, was sie an Wissen und Vermögen angesammelt hatten. Noch zu Lebzeiten liessen sie los zum Wohle der Gemeinschaft. Kann man Frieden besser leben? Shalom ihr beiden tollen Alten !!
------
Pinhas ist Ende Juli 2020 im Alter von 92 Jahren im Kreise seiner Familie in Frieden eingeschlafen. Ein vielschichtiges schweres Leben hat sich abgerundet.
Dieses Leben hat nur indirekt mit Landsberg zu tun, da ich nicht weiss ob er tatsächlich auch hier war. Aber sein Schicksal könnte statt in Auschwitz und Dachau genausogut sich den KZ-Außenlagern bei Landsberg und Kaufering abgespielt haben.
In persönlichen Dialogen erfuhr ich eine Lebensgeschichte welche mich sehr berührt hat. Ein ganze jüdische Gemeinde einer Stadt in Transilvanien wurde in das KZ Ausschwitz deportiert. Dabei auch die komplette Familie von Pinhas, der als Einziger überlebte. Er kam mit 12 Jahren ins KZ Dachau und wurde als Sechzehnjähriger total ausgemergelt von den Amerikanern befreit. Mit 1,80 m Körpergrösse wog er nur noch 36 kg, also nur noch ein reines Knochengerüst. Er wurde von den Amerikanern in München ein halbes Jahr versorgt und wieder auf seine eigenen Beine gestellt. Dann begann er über das Rote Kreuz seine Angehörigen zu suchen, bis er merkte, das keiner das Grauen überlebt hatte. Ausser ihm hat von seiner Familie keiner überlebt. Seine Brüder, Schwestern, Onkel und Tanten, die Grosseltern und alle anderen waren umgekommen.
Heimatlos machte er sich auf den Weg in Richtung Israel, kam per Schiff dort an und wurde von der englischen Besatzungsmacht zurück gewiesen. Das Schiff mit allen Flüchtlingen musste nach Limasol auf Zypern, wo er dann über ein Jahr in einem Camp warten musste. Dann gelang ihm die Einreise nach Israel. Seine Geschichte erinnert mich sehr an die verfilmte Geschichte der Exodus. Denn kaum in Israel angekommen begann der Befreiungskrieg und 1948 die Ausrufung des Staat Israel. Er als Kämpfer mitten drin und wurde Teil der Armee, in der er Karriere machte und einer der leitenden Führungskräfte (General) wurde. In der Armee lernte er seine Frau kennen, welche dort eine Offizierin war. Vier Kinder kamen dazu und er tat alles um denen ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen. Erst als diese voll erwachsen waren hat er ein Familienbuch für diese erstellt und darin seine Lebenserinnerungen niedergeschrieben. Die vier Kinder staunten nur, da er früher nie darüber geredet hatte. Er wollte sie als Kinder nicht damit belasten.
Als 85 jähriger hat er alles für sich aufgearbeitet und ist im Frieden mit seiner Vergangenheit und hat den Deutschen voll vergeben. Was für eine Grösse !
Er hat nie ein schlechtes Wort über die Deutschen gesagt und hat der Vergangenheit verziehen.
Als ich darüber nachdachte dieses "exemplarische Leben" in einem Buch umzusetzen, winkte er dankend ab. Er sagte, das es wirklich schon genug Geschichten gibt und dieses Kapitel der Vergangenheit nicht allzusehr in Deutschland überbeansprucht werden sollte. Denn die junge Generation heute soll sich nicht mehr schuldig fühlen für das was ihre Grossväter verursacht haben. Er meint das es genug Aufklärungsbücher und Filme gibt und das es wichtiger ist dies jungen Menschen bei Lesungen oder bei Besuchen in den Schulen zu erzählen, aber ohne den jungen Menschen immer das Gefühl zu geben, das sie für die Vergangenheit bezahlen müssten. Aber sehr wohl zu verstehen geben, das so etwas nie wieder passieren darf, gerade auch in der heutigen Situation, in der es viele Flüchtlinge anderer Nationen in Deutschland gibt, welche hier manchmal nicht gern gesehen oder nicht geduldet werden.
Er ist ein Mann ohne Zorn, mit einem vergebenden Herzen und einer grossen Seele.
Den jungen Israelis vermittelt er in Vorträgen im Holocaustmuseum Yad Yashem seine Erlebnisse und Erfahrungen aus seinem Leben. Diese sind von diesem Zeitzeugen alle tief beeindruckt, da er für den Frieden und die Vergebung einsteht.
Auch mich hat dieses Leben und seine Transformation tief berührt und beeindruckt.
Peter Burger
3.11.2013
Aus "Der Fluss der Zeit strömt durch uns" P.H. Burger Verlag
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Und diese Geschichte hatte eine Fortsetzung, da Pinhas über das Internet einen weiteren Überlebenden seines Dorfes ist den USA fand. Dieser wurde einer der reichsten Kunsthändler von Amerika. Da selbst kinderlos verteilte er nun im hohen Alter sein Vermögen. Er zog nach Israel und besuchte jede Woche an einem Tag mit Pinhas soziale jüdische Einrichtungen und gab denen Teile seines Millionenvermögens. Die beiden Alten halfen wo es nur ging. Pinhas kannte alle seriösen Organisationen und beriet den Kunsthändler. Gemeinsam gaben sie das weiter, was sie an Wissen und Vermögen angesammelt hatten. Noch zu Lebzeiten liessen sie los zum Wohle der Gemeinschaft. Kann man Frieden besser leben? Shalom ihr beiden tollen Alten !!
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Pinhas ist Ende Juli 2020 im Alter von 92 Jahren im Kreise seiner Familie in Frieden eingeschlafen. Ein vielschichtiges schweres Leben hat sich abgerundet.
Dieses Leben hat nur indirekt mit Landsberg zu tun, da ich nicht weiss ob er tatsächlich auch hier war. Aber sein Schicksal könnte statt in Auschwitz und Dachau genausogut sich den KZ-Außenlagern bei Landsberg und Kaufering abgespielt haben.
1945: Auf der Flucht
Auf der Flucht
Es war im Februar 1945, als der Krieg zu Ende ging. Aufgelöst zogen sich die deutschen Truppen in das Innere des Landes zurück, waren aber gezwungen, nur des Nachts auf den Landstraßen dahinzuziehen, um den Flugzeugen zu entgehen, die sie am Tage unablässig verfolgten.
Allnächtlich hörte die Frau, die allein mit ihrem Kind in dem Häuschen am Berghang (Neue Bergstrasse, ettwa da wo nun die Nebengebäude der Stadtsparkasse sind) wohnte, die Geräusche der Truppen auf der Straße und selbst, wenn sie spät nach Mitternacht erwachte, ertönte das Klappern der Hufe müder Pferde, das Rollen der Wagenräder oder seltener das Brummen von Motoren, soweit ihnen der Brennstoff nicht ausgegangen war.
Eines Nachts erwachte sie aus dunklen Träumen und horchte auf. Diesmal waren die Töne, die sie vernahm, anders als in den vorigen Nächten. Wohl war auch jetzt wieder das Getrappel vieler Pferde zu hören, doch waren es fremdartige Stimmen, die den Pferden zuriefen. Melodische Stimmen waren es, die den Tieren zu schmeicheln schienen, doch nicht nachzulassen und noch einmal zu versuchen, den steilen Berg zu nehmen. Schließlich trat unvermutet Ruhe ein, alle Pferde und Fahrzeuge hielten fast zugleich an, offenbar unfähig die Steigung zu nehmen. Harte, barsche Rufe rissen nun die Stille auf, von Männern, die mit norddeutschem Befehlston der offenbar ausländischen Mannschaft befahlen, die Pferde nicht länger zu schonen und das letzte aus ihnen herauszuholen. ”Gebt ihnen die Peitsche”, schrien sie, doch nichts rührte sich als allgemeines Gemurmel. Endlich schien sich das, was da auf der Straße im Dunkel rumorte, auf eine vorläufige Ruhepause einzurichten.
Jäh erhob sich die Frau aus dem Bett, als schrill die Hausglocke läutete. Rasch kleidete sie sich an und öffnete zögernd die Türe. Ein deutscher Soldat stand da mit trübem, übermüdetem Gesichtsausdruck und hinter ihm still eine Frau, die ein Bündel sorgsam in den Armen barg. ”Wir haben hier eine Frau”, sagte der Soldat, ”eine Russin, die ihr Kind versorgen und die Milchflasche wärmen möchte. Es wird nicht lange dauern”. Sie traten ein, der Soldat mit einem Koffer und die Russin mit ihrem vermummten Bündel. Alsbald zeigte sich, was das Bündel enthielt, als die vielen Tücher auseinandergefaltet wurden und ein Kind zum Vorschein kam, lieblich und träumend. Ruhig, mit sicheren Bewegungen wusch die Mutter das Kind, während der Soldat den Koffer öffnete, in dem sich, sauber geschichtet, die Windeln und alles das befand, wessen ein kleines Wesen bedarf. Es seien russische Truppen, Kosaken, die unter deutschem Kommando stünden, sagte der deutsche Soldat. Die Frau sei Zahnärztin und es sei so schwer für sie, das Kind auf der Flucht zu versorgen. Es war nicht zuerkennen, welche Rolle der Soldat spielte, der müde und fast teilnahmslos, doch immer ergeben der Russin diente, er mochte wohl gar der Vater dieses Kindes sein, das so unter seltsamen Umständen einer gänzlich ungewissen Zukunft entgegenzog. Seltsam und zugleich wunderbar erschien jedenfalls die Ruhe, Umsicht und mütterliche Freude, mit der die Russin das Kind betreute. Wohin sie denn noch ziehen wollten, wurde sie gefragt. Dies wisse sie wahrhaftig nicht, bedeutete sie in mühsamen Deutsch, so viele Nächte seien sie nun gewandert, hätten viele Männer am Rhein verloren und noch sei kein Ende abzusehen. - Warum sie noch weiter nach Osten fahren? Wolle sie denn zu den Russen, deren Heere vom Osten her sich näherten? Nur das nicht, gab sie zur Antwort, das wäre ein Ende mit Schrecken. - Wohin denn noch? - Irgendwohin, sagte sie und schien zu denken, es sei gleichgültig, wohin, wichtig allein sei, daß das Kind lebt, das da ruhig atmet und keinen Krieg kennt, keine Flucht, kein Elend.
Draußen zogen die Pferde an, zum Zeichen, daß der Aufbruch bevorstand. Schweigend erhob sich die Russin, nahm das Kind fest an sich und dankte der deutschen Frau indem sie sich über ihre Hand beugte und sie küßte.
Es gab wohl keine Rettung für diese Menschen, die da wieder in die finstere Nacht hinauszogen. Und doch strahlte von dieser gefährdeten Mutter eine geheimnisvolle Kraft aus und ein Vertrauen darauf, daß da, wo ein Kind träumt, das Leben unzerstörbar ist.
Alfons Burger (1954)
-----
(Über ein Erlebnis von Sofia Denninger, wie meine Mutter damals noch hies. Wenn sie darüber sprach, kam mehrmals der Hinweis, daß wenn die Russin das Kind bei ihr gelassen hätte, ich heute noch ein Geschwister mehr hätte. Denn in der damaligen Zeit wurden oft Kinder vor anderen Haustüren abgelegt, von verzweifelten Müttern die nicht mehr die Kraft für ihre Kinder hatten.
Ich bin mir sicher, daß meine Mutter das Kind dieser Russin bei sich behalten hätte.)
Posthum veröffentlicht in dem Buch: MENSCHLICHKEIT - HUMANITY zugunsten Amnesty-International; ISBN 3-035192-62-2
Es war im Februar 1945, als der Krieg zu Ende ging. Aufgelöst zogen sich die deutschen Truppen in das Innere des Landes zurück, waren aber gezwungen, nur des Nachts auf den Landstraßen dahinzuziehen, um den Flugzeugen zu entgehen, die sie am Tage unablässig verfolgten.
Allnächtlich hörte die Frau, die allein mit ihrem Kind in dem Häuschen am Berghang (Neue Bergstrasse, ettwa da wo nun die Nebengebäude der Stadtsparkasse sind) wohnte, die Geräusche der Truppen auf der Straße und selbst, wenn sie spät nach Mitternacht erwachte, ertönte das Klappern der Hufe müder Pferde, das Rollen der Wagenräder oder seltener das Brummen von Motoren, soweit ihnen der Brennstoff nicht ausgegangen war.
Eines Nachts erwachte sie aus dunklen Träumen und horchte auf. Diesmal waren die Töne, die sie vernahm, anders als in den vorigen Nächten. Wohl war auch jetzt wieder das Getrappel vieler Pferde zu hören, doch waren es fremdartige Stimmen, die den Pferden zuriefen. Melodische Stimmen waren es, die den Tieren zu schmeicheln schienen, doch nicht nachzulassen und noch einmal zu versuchen, den steilen Berg zu nehmen. Schließlich trat unvermutet Ruhe ein, alle Pferde und Fahrzeuge hielten fast zugleich an, offenbar unfähig die Steigung zu nehmen. Harte, barsche Rufe rissen nun die Stille auf, von Männern, die mit norddeutschem Befehlston der offenbar ausländischen Mannschaft befahlen, die Pferde nicht länger zu schonen und das letzte aus ihnen herauszuholen. ”Gebt ihnen die Peitsche”, schrien sie, doch nichts rührte sich als allgemeines Gemurmel. Endlich schien sich das, was da auf der Straße im Dunkel rumorte, auf eine vorläufige Ruhepause einzurichten.
Jäh erhob sich die Frau aus dem Bett, als schrill die Hausglocke läutete. Rasch kleidete sie sich an und öffnete zögernd die Türe. Ein deutscher Soldat stand da mit trübem, übermüdetem Gesichtsausdruck und hinter ihm still eine Frau, die ein Bündel sorgsam in den Armen barg. ”Wir haben hier eine Frau”, sagte der Soldat, ”eine Russin, die ihr Kind versorgen und die Milchflasche wärmen möchte. Es wird nicht lange dauern”. Sie traten ein, der Soldat mit einem Koffer und die Russin mit ihrem vermummten Bündel. Alsbald zeigte sich, was das Bündel enthielt, als die vielen Tücher auseinandergefaltet wurden und ein Kind zum Vorschein kam, lieblich und träumend. Ruhig, mit sicheren Bewegungen wusch die Mutter das Kind, während der Soldat den Koffer öffnete, in dem sich, sauber geschichtet, die Windeln und alles das befand, wessen ein kleines Wesen bedarf. Es seien russische Truppen, Kosaken, die unter deutschem Kommando stünden, sagte der deutsche Soldat. Die Frau sei Zahnärztin und es sei so schwer für sie, das Kind auf der Flucht zu versorgen. Es war nicht zuerkennen, welche Rolle der Soldat spielte, der müde und fast teilnahmslos, doch immer ergeben der Russin diente, er mochte wohl gar der Vater dieses Kindes sein, das so unter seltsamen Umständen einer gänzlich ungewissen Zukunft entgegenzog. Seltsam und zugleich wunderbar erschien jedenfalls die Ruhe, Umsicht und mütterliche Freude, mit der die Russin das Kind betreute. Wohin sie denn noch ziehen wollten, wurde sie gefragt. Dies wisse sie wahrhaftig nicht, bedeutete sie in mühsamen Deutsch, so viele Nächte seien sie nun gewandert, hätten viele Männer am Rhein verloren und noch sei kein Ende abzusehen. - Warum sie noch weiter nach Osten fahren? Wolle sie denn zu den Russen, deren Heere vom Osten her sich näherten? Nur das nicht, gab sie zur Antwort, das wäre ein Ende mit Schrecken. - Wohin denn noch? - Irgendwohin, sagte sie und schien zu denken, es sei gleichgültig, wohin, wichtig allein sei, daß das Kind lebt, das da ruhig atmet und keinen Krieg kennt, keine Flucht, kein Elend.
Draußen zogen die Pferde an, zum Zeichen, daß der Aufbruch bevorstand. Schweigend erhob sich die Russin, nahm das Kind fest an sich und dankte der deutschen Frau indem sie sich über ihre Hand beugte und sie küßte.
Es gab wohl keine Rettung für diese Menschen, die da wieder in die finstere Nacht hinauszogen. Und doch strahlte von dieser gefährdeten Mutter eine geheimnisvolle Kraft aus und ein Vertrauen darauf, daß da, wo ein Kind träumt, das Leben unzerstörbar ist.
Alfons Burger (1954)
-----
(Über ein Erlebnis von Sofia Denninger, wie meine Mutter damals noch hies. Wenn sie darüber sprach, kam mehrmals der Hinweis, daß wenn die Russin das Kind bei ihr gelassen hätte, ich heute noch ein Geschwister mehr hätte. Denn in der damaligen Zeit wurden oft Kinder vor anderen Haustüren abgelegt, von verzweifelten Müttern die nicht mehr die Kraft für ihre Kinder hatten.
Ich bin mir sicher, daß meine Mutter das Kind dieser Russin bei sich behalten hätte.)
Posthum veröffentlicht in dem Buch: MENSCHLICHKEIT - HUMANITY zugunsten Amnesty-International; ISBN 3-035192-62-2
Mittwoch, 8. Dezember 2021
Rückblick in meine Kindheit
Zerbrochenes Glück
Klein Peter fuhr zum ersten Mal mit der Eisenbahn. Nun genau genommen, war ihm die Eisenbahn nicht neu, denn schon lange zuvor übte er das Fahren mit Eisenbahnzügen, allerdings nur zu Hause mit seinen Holzbausteinen. Die langen Hölzer waren die Wagen und die kleinen Hölzer auf den länglichen waren die Menschen, die fuhren. Jetzt also fuhr er, der Dreijährige, wirklich und tat es mit Selbstverständlichkeit. Manierlich, doch nicht ohne Eigenwilligkeit saß er neben der Mutter und folgte den neuartigen Ereignissen mit wachen Augen. Die Mutter kam bald in ein Gespräch mit einer gegenübersitzenden sympathischen Frau, die mit weißen Haaren seltsam jugendlich wirkte. Sie fahre, wie sie sagte, nach München, um dort lange gehegte Wünsche zu erfüllen. Ihr einziger Sohn habe dort studiert, sei aber im Kriege geblieben. Nun wolle sie alle Orte und Menschen besuchen, mit denen ihr Sohn zu tun hatte und von denen er ihr, die damals weit entfernt von ihm leben musste, viel und mit Liebe erzählt hatte. Sie wisse nicht, wo ihr einziges Kind begraben sei, so könne sie nicht wie andere Mütter wenigstens am Grabe ihm nahe sein. Statt dessen fühle sie sich getrieben, die Orte aufzusuchen, die ihm zuletzt in glücklicheren Tagen etwas bedeutet hatten. Sie sagte das ohne sichtbaren Schmerz, ja mit fast heiterem Lächeln, als ginge sie einem unsichtbaren Wiedersehen mit einem geliebten Menschen entgegen. Indessen war ein junger Mann in amerikanischer Uniform eingetreten und blieb im überfüllten Abteil neben ihnen stehen. Gelangweilt blickte er auf seine Umgebung, wandte sich aber bald mit erwachtem Interesse dem Kinde zu, nicht wissend, wie es anzufangen sei, mit ihm in Kontakt zu kommen. Schließlich zog er ein Etwas aus der Tasche und hielt es dem Kind entgegen. Es war ein kleiner Maßkrug, den er als lustiges Andenken irgendwo erworben haben mochte. Ob er dem Kleinen das Ding schenken dürfe, sagte er wie zur Entschuldigung; er habe einen Bruder drüben in Amerika, der genau so klein sei und fast genau aussehe wie dieses Kind. Lächelnd ließ es die Mutter geschehen, dass er es auf den Arm nahm und mit ihm zu spielen begann. Indes er ihm mit fremdartigen Lauten seine Zuneigung zeigte, war er gewiss auch einem anderen Kinde, seinem kleinen fernen Bruder nahe.
In München angekommen, war Klein Peter nicht mehr davon abzubringen, das Krüglein aus den Händen zu geben. Mit festem Griff trug er es vor sich her, als er neben der Mutter durch die Straßen der Stadt trippelte. Sie vermieden die belebten Hauptstraßen und strebten gemächlich ihrem Ziele zu, gerieten dabei aber unversehens in eine Gegend, die noch sichtlich vom Bombenkrieg gezeichnet war. Hinter eingestürzten Fassaden lag noch der übelriechende Schutt, auf dem da und dort schon Gesträuch und Unkraut wuchs, selbst der Gehweg war mit wildem Geröll bedeckt. Hatte die Mutter geglaubt, abseits vom Menschengetriebe leichter mit dem Kind voranzukommen, so sah sie sich jetzt von den Spuren des vergangenen Krieges gehindert. Ungeduldig versuchte sie, dem Kind das Krüglein aus der Hand zu nehmen, damit es besser auf die Trümmer achte. Doch das Kind wehrte sich, stolperte und sah plötzlich das geliebte Spielzeug zerbrochen. Weinend hielt es nun am Henkel das zerbrochene Gefäß vor sich hin und war auch jetzt nicht zu bewegen, es aus der Hand zu geben. Als sie an einem verfallenen Tor vorübergingen, hielt die Mutter an und sagte begütigend, man könne das Ding einstweilen hier aufbewahren und es später wieder abholen. Dem Kind schien dieser Vorschlag einzuleuchten, denn nach kurzem Zögern suchte es nach einer Stelle, die würdig war, das Krüglein aufzunehmen. Auf einen Sockel, auf dem einstmal eine Marmorstatue gestanden haben mochte, legte er es bedächtig nieder und ging wohlgemut weiter, nicht ohne sich mehrmals nach dieser Stelle umgesehen zu haben. Viele Stunden waren vergangen, als sie den Rückweg von dem Geschäft, das sie als ihr Ziel schließlich erreicht hatten, antraten und müde dachte die Mutter daran, auf kürzestem Weg zum Bahnhof zu gelangen, um die Heimreise anzutreten. Durch Seitenstraßen wanderten sie zurück, doch suchte die Mutter jenes Trümmerviertel zu vermeiden, das sie auf dem Hinweg so sehr behindert hatte. Bald musste sie jedoch bemerken, dass solch düsteren Gegenden offenbar nicht auszuweichen war und wusste obendrein nicht mehr recht, wo sie sich befand, als sie wieder in einen zerstörten Straßenzug einbiegen musste. Doch merkwürdig, das Kind zog die Mutter mit sanfter Gewalt alsbald zu der anderen Seite der Straße hin, zu einem verfallenen Tore, das die Mutter erstaunt nun als die Stelle erkannte, wo das Krüglein abgestellt worden war. Richtig, es war noch an der gleichen Stelle auf dem Sockel, der ehedem einer Marmorstatue gedient haben mochte. Mit Wiedersehensfreude betrachtete das Kind sein halbzerbrochenes Krüglein und schien geneigt, es wieder an sich zu nehmen. Die Mutter dagegen sah den Torso mit unverhohlener Abneigung und meinte, es gehöre nun an diesen Ort und solle hier verbleiben. Vielleicht erschien der verwahrloste Ort auch dem Kind unheimlich und die Scherbe nicht mehr so begehrenswert, jedenfalls ließ es sich bald mit dem Versprechen beruhigen, es werde ein neueres und schöneres Krüglein bekommen. Einträchtig verließen sie die trostlose Stätte und gewannen eine Straße, die von neugebauten Häusern umsäumt war, die verlassenen Trümmer wie einen bösen Traum zurücklassend.
Munter mischten sie sich nun unter die Menschenmenge, die wie von unsichtbarer Hand getrieben, dahinströmte. Niemand bemerkte, dass an einer Ecke eine einsame Frau verharrte, die mit weißen Haaren seltsam jugendlich wirkte. Mit abwesendem Blick sah diese Frau in die Ferne und schien Gedanken nachzuhängen, die ihrem schönen Antlitz einen Zug der Trauer verliehen. Etwas schien zerbrochen an dieser mütterlichen Frau, doch stand auf ihrer Stirn ein Leuchten, jenseits von Schmerz und Trauer.
Alfons Burger (1953)
Klein Peter fuhr zum ersten Mal mit der Eisenbahn. Nun genau genommen, war ihm die Eisenbahn nicht neu, denn schon lange zuvor übte er das Fahren mit Eisenbahnzügen, allerdings nur zu Hause mit seinen Holzbausteinen. Die langen Hölzer waren die Wagen und die kleinen Hölzer auf den länglichen waren die Menschen, die fuhren. Jetzt also fuhr er, der Dreijährige, wirklich und tat es mit Selbstverständlichkeit. Manierlich, doch nicht ohne Eigenwilligkeit saß er neben der Mutter und folgte den neuartigen Ereignissen mit wachen Augen. Die Mutter kam bald in ein Gespräch mit einer gegenübersitzenden sympathischen Frau, die mit weißen Haaren seltsam jugendlich wirkte. Sie fahre, wie sie sagte, nach München, um dort lange gehegte Wünsche zu erfüllen. Ihr einziger Sohn habe dort studiert, sei aber im Kriege geblieben. Nun wolle sie alle Orte und Menschen besuchen, mit denen ihr Sohn zu tun hatte und von denen er ihr, die damals weit entfernt von ihm leben musste, viel und mit Liebe erzählt hatte. Sie wisse nicht, wo ihr einziges Kind begraben sei, so könne sie nicht wie andere Mütter wenigstens am Grabe ihm nahe sein. Statt dessen fühle sie sich getrieben, die Orte aufzusuchen, die ihm zuletzt in glücklicheren Tagen etwas bedeutet hatten. Sie sagte das ohne sichtbaren Schmerz, ja mit fast heiterem Lächeln, als ginge sie einem unsichtbaren Wiedersehen mit einem geliebten Menschen entgegen. Indessen war ein junger Mann in amerikanischer Uniform eingetreten und blieb im überfüllten Abteil neben ihnen stehen. Gelangweilt blickte er auf seine Umgebung, wandte sich aber bald mit erwachtem Interesse dem Kinde zu, nicht wissend, wie es anzufangen sei, mit ihm in Kontakt zu kommen. Schließlich zog er ein Etwas aus der Tasche und hielt es dem Kind entgegen. Es war ein kleiner Maßkrug, den er als lustiges Andenken irgendwo erworben haben mochte. Ob er dem Kleinen das Ding schenken dürfe, sagte er wie zur Entschuldigung; er habe einen Bruder drüben in Amerika, der genau so klein sei und fast genau aussehe wie dieses Kind. Lächelnd ließ es die Mutter geschehen, dass er es auf den Arm nahm und mit ihm zu spielen begann. Indes er ihm mit fremdartigen Lauten seine Zuneigung zeigte, war er gewiss auch einem anderen Kinde, seinem kleinen fernen Bruder nahe.
In München angekommen, war Klein Peter nicht mehr davon abzubringen, das Krüglein aus den Händen zu geben. Mit festem Griff trug er es vor sich her, als er neben der Mutter durch die Straßen der Stadt trippelte. Sie vermieden die belebten Hauptstraßen und strebten gemächlich ihrem Ziele zu, gerieten dabei aber unversehens in eine Gegend, die noch sichtlich vom Bombenkrieg gezeichnet war. Hinter eingestürzten Fassaden lag noch der übelriechende Schutt, auf dem da und dort schon Gesträuch und Unkraut wuchs, selbst der Gehweg war mit wildem Geröll bedeckt. Hatte die Mutter geglaubt, abseits vom Menschengetriebe leichter mit dem Kind voranzukommen, so sah sie sich jetzt von den Spuren des vergangenen Krieges gehindert. Ungeduldig versuchte sie, dem Kind das Krüglein aus der Hand zu nehmen, damit es besser auf die Trümmer achte. Doch das Kind wehrte sich, stolperte und sah plötzlich das geliebte Spielzeug zerbrochen. Weinend hielt es nun am Henkel das zerbrochene Gefäß vor sich hin und war auch jetzt nicht zu bewegen, es aus der Hand zu geben. Als sie an einem verfallenen Tor vorübergingen, hielt die Mutter an und sagte begütigend, man könne das Ding einstweilen hier aufbewahren und es später wieder abholen. Dem Kind schien dieser Vorschlag einzuleuchten, denn nach kurzem Zögern suchte es nach einer Stelle, die würdig war, das Krüglein aufzunehmen. Auf einen Sockel, auf dem einstmal eine Marmorstatue gestanden haben mochte, legte er es bedächtig nieder und ging wohlgemut weiter, nicht ohne sich mehrmals nach dieser Stelle umgesehen zu haben. Viele Stunden waren vergangen, als sie den Rückweg von dem Geschäft, das sie als ihr Ziel schließlich erreicht hatten, antraten und müde dachte die Mutter daran, auf kürzestem Weg zum Bahnhof zu gelangen, um die Heimreise anzutreten. Durch Seitenstraßen wanderten sie zurück, doch suchte die Mutter jenes Trümmerviertel zu vermeiden, das sie auf dem Hinweg so sehr behindert hatte. Bald musste sie jedoch bemerken, dass solch düsteren Gegenden offenbar nicht auszuweichen war und wusste obendrein nicht mehr recht, wo sie sich befand, als sie wieder in einen zerstörten Straßenzug einbiegen musste. Doch merkwürdig, das Kind zog die Mutter mit sanfter Gewalt alsbald zu der anderen Seite der Straße hin, zu einem verfallenen Tore, das die Mutter erstaunt nun als die Stelle erkannte, wo das Krüglein abgestellt worden war. Richtig, es war noch an der gleichen Stelle auf dem Sockel, der ehedem einer Marmorstatue gedient haben mochte. Mit Wiedersehensfreude betrachtete das Kind sein halbzerbrochenes Krüglein und schien geneigt, es wieder an sich zu nehmen. Die Mutter dagegen sah den Torso mit unverhohlener Abneigung und meinte, es gehöre nun an diesen Ort und solle hier verbleiben. Vielleicht erschien der verwahrloste Ort auch dem Kind unheimlich und die Scherbe nicht mehr so begehrenswert, jedenfalls ließ es sich bald mit dem Versprechen beruhigen, es werde ein neueres und schöneres Krüglein bekommen. Einträchtig verließen sie die trostlose Stätte und gewannen eine Straße, die von neugebauten Häusern umsäumt war, die verlassenen Trümmer wie einen bösen Traum zurücklassend.
Munter mischten sie sich nun unter die Menschenmenge, die wie von unsichtbarer Hand getrieben, dahinströmte. Niemand bemerkte, dass an einer Ecke eine einsame Frau verharrte, die mit weißen Haaren seltsam jugendlich wirkte. Mit abwesendem Blick sah diese Frau in die Ferne und schien Gedanken nachzuhängen, die ihrem schönen Antlitz einen Zug der Trauer verliehen. Etwas schien zerbrochen an dieser mütterlichen Frau, doch stand auf ihrer Stirn ein Leuchten, jenseits von Schmerz und Trauer.
Alfons Burger (1953)
Freitag, 19. Juli 2019
The last Escape
Teile dieses Films (46. - 52. Minute) wurden 1968 in LL gedreht. Ich war bei diesen Aufnahmen mehrere Tage dabei und sass bei den Schauspielern, dem tollen Stuntman (51. Minute - Sprung aus dem Fenster - das ganze Filmteam applaudierte ! :) ) und erlebte den damals noch jungen Kameramann Gernot Roll bei seiner Arbeit. Diese Tage im Sommer 1968 blieben mir in schöner Erinnerung.
Nun auf Youtube sah ich gerade erstmals den ganzen Film.
Dienstag, 2. Juli 2019
Das Klassenfoto
Das Klassenfoto
Erste Klasse der gemischten Knaben- und Mädchenvolksschule in Landsberg am Lech.
Ich stehe in der zweiten Reihe, der Dritte von links. Rechts über mir in Lederhose ist Ingo Lehmann, der nun der OB von Landsberg ist. Alle anderen habe ich aus dem Auge verloren. Denn ein Jahr später ging ich hundert Kilometer entfernt in eine andere Schule. Mein Vater wurde dahin versetzt.
Als ich dieses Foto wiederfand und diese Kinder und Gesichter sah, überlegte ich, welche Leben und Schicksale sich daraus entwickelt haben mögen. Was für Beziehungen und Ehen, wieviel Kinder und Enkel daraus entstanden sein mögen. Welche Vielfalt daraus sich entwickelt hat ? Welche Berufe, welche Interessen, wieviel Häuser, wieviel Leid? Wer davon lebt nicht mehr, wer ist wo und wie mag es diesen jetzt gehen?
Würden wir uns heute begegnen, kaum einer würde sich noch erkennen, vielleicht auch nichts zu sagen haben. Bei anderen gäbe es einen Ahaeffekt und intensive Gespräche.
Ich erlebte es vor Jahren, als ich zufällig welche aus der späteren Schulzeit wiedertraf. Einer meiner engsten Schulkameraden wurde Designer und war damit aber psychisch gescheitert. Ein anderer, den ich in der Schulzeit nicht mochte, war mir nun richtig sympathisch. Was hatte sich da alles verändert. Die Menschen, meine Wahrnehmung, ich.
Das Klassenfoto lässt rückwärts blicken, für einen Moment innehalten auf dem Weg, welcher letztlich weiterführt, ins Ungewisse unserer ewigen Wandlung.
Peter Burger
- 2008 -
- Nachtrag: Gestern war ich in LL von einem Nachbar anlässlich seines 35. Geburtstag eingeladen. Da war auch seine Mutter anwesend und im Gespräch stellten wir fest, das wir damals in der gleichen Klasse waren. Sie ist auf dem Foto das Mädel in der vorderen Reihe ganz rechts :)
Erste Klasse der gemischten Knaben- und Mädchenvolksschule in Landsberg am Lech.
Ich stehe in der zweiten Reihe, der Dritte von links. Rechts über mir in Lederhose ist Ingo Lehmann, der nun der OB von Landsberg ist. Alle anderen habe ich aus dem Auge verloren. Denn ein Jahr später ging ich hundert Kilometer entfernt in eine andere Schule. Mein Vater wurde dahin versetzt.
Als ich dieses Foto wiederfand und diese Kinder und Gesichter sah, überlegte ich, welche Leben und Schicksale sich daraus entwickelt haben mögen. Was für Beziehungen und Ehen, wieviel Kinder und Enkel daraus entstanden sein mögen. Welche Vielfalt daraus sich entwickelt hat ? Welche Berufe, welche Interessen, wieviel Häuser, wieviel Leid? Wer davon lebt nicht mehr, wer ist wo und wie mag es diesen jetzt gehen?
Würden wir uns heute begegnen, kaum einer würde sich noch erkennen, vielleicht auch nichts zu sagen haben. Bei anderen gäbe es einen Ahaeffekt und intensive Gespräche.
Ich erlebte es vor Jahren, als ich zufällig welche aus der späteren Schulzeit wiedertraf. Einer meiner engsten Schulkameraden wurde Designer und war damit aber psychisch gescheitert. Ein anderer, den ich in der Schulzeit nicht mochte, war mir nun richtig sympathisch. Was hatte sich da alles verändert. Die Menschen, meine Wahrnehmung, ich.
Das Klassenfoto lässt rückwärts blicken, für einen Moment innehalten auf dem Weg, welcher letztlich weiterführt, ins Ungewisse unserer ewigen Wandlung.
Peter Burger
- 2008 -
- Nachtrag: Gestern war ich in LL von einem Nachbar anlässlich seines 35. Geburtstag eingeladen. Da war auch seine Mutter anwesend und im Gespräch stellten wir fest, das wir damals in der gleichen Klasse waren. Sie ist auf dem Foto das Mädel in der vorderen Reihe ganz rechts :)
Dienstag, 13. November 2018
Geistertanz am Lech
Geistertanz am Lech
An den Steilhängen am Fluss
Gnome tanzen an sprudelnden Bächen
knistern verstohlen im Laub
erschrecken ängstliche Menschlein.
Als besonderer Ort
gilt der tiefblaue Quelltopf
den man Teufelsküch nennt
wo Naturgeister sich treffen bei Nacht.
Wenn Nebelschwaden ziehen
vom Fluss die Berghänge hoch
ist Hexentreff aller Geister
welche tanzen durch die Nacht.
Die Menschlein erzittern
wenn es gurgelt aus Quellen
und Füsse rascheln im Laub
den grausig Schalk im Nacken spüren.
Den Geistern gefällts
damit die Irdischen verschwinden
um die Nacht auszukosten
im unendlichen Schementanz.
Menschen am Lech
geht heim bei Nacht
verschliesst die Türen
damit Gnomen aussen sind.
Nur Ritter der Nacht
mit heilgem Schein
durchschreiten das Dunkel
im Vertrauen göttlicher Kraft.
Da weichen die Gnomen und Geister
zurück in Quellen und Höhlen
wartend bis diese lichtvolle Gestalt
das feuchte Tal durchschritten hat.
Peter Burger
Wer am Lech geboren
Lechrain
Wer am Lech geboren
von Landsberg flussaufwärts
ist von eigenem Schlag
heut gebremst von Stauwehren.
Darunter braust noch der Strom
wild und ursprünglich
voll wilder Sagen
vorbei am Land.
Bei Pitzling haust der Teufel
mit dem Mann ohne Kopf
gesehen in nebligen Nächten
mystisch verklärter Vergangenheit.
Heut blicken Wanderer
in tiefblaues Wasser
in kühlen Schluchten
wo Sonne kaum hin kommt.
Darunter ein Cafe mit Lechblick
wo einkehrt wer aufgeklärt
geniesst die Weite des Wassers
welche am Lechrain treibt.
Vergnügliche Freizeit
in erfrischender Natur
wo einst Flösser ums Leben bangten
getrieben vom reissenden Strom.
Beruhigt wirkt er brav
ohne alter Gewalt
solange das Eiswasser schweigt
von Wehren gebremst.
Eigener Lechrain
mit ursprünglichen Menschen
eigensinnig fröhlich
geprägt vom ruhenden Strom.
Peter Burger
Wer am Lech geboren
von Landsberg flussaufwärts
ist von eigenem Schlag
heut gebremst von Stauwehren.
Darunter braust noch der Strom
wild und ursprünglich
voll wilder Sagen
vorbei am Land.
Bei Pitzling haust der Teufel
mit dem Mann ohne Kopf
gesehen in nebligen Nächten
mystisch verklärter Vergangenheit.
Heut blicken Wanderer
in tiefblaues Wasser
in kühlen Schluchten
wo Sonne kaum hin kommt.
Darunter ein Cafe mit Lechblick
wo einkehrt wer aufgeklärt
geniesst die Weite des Wassers
welche am Lechrain treibt.
Vergnügliche Freizeit
in erfrischender Natur
wo einst Flösser ums Leben bangten
getrieben vom reissenden Strom.
Beruhigt wirkt er brav
ohne alter Gewalt
solange das Eiswasser schweigt
von Wehren gebremst.
Eigener Lechrain
mit ursprünglichen Menschen
eigensinnig fröhlich
geprägt vom ruhenden Strom.
Peter Burger
Dienstag, 1. Mai 2018
Onkel Heiner
Mein Patenonkel Heinrich Hiesinger. Landwirt und Müller in Pitzling
Hier mit seiner Frau Leni, Tochter Riggi und seinen beiden Schwestern Käthe und Sofia (meine Mutter)
Willi
Einst mit meinem Vetter Willi Hiesinger auf dem Traktor in der Unteteren Viehweide in Pitzling:
Rückblicke in längst vergangene Zeiten, als ich noch ein Bub war. .
Rückblicke in längst vergangene Zeiten, als ich noch ein Bub war. .
Flechtlein
Erna Flechtner, die wir liebevoll "Flechtlein" nannten, verstarb letztes Jahr mit über 90 Jahren. Als ich noch ein Kind war, kümmerte sie sich oft um mich, war für mich wie eine Gouvernante. Ihre offene fröhliche Natur hat unsere ganze Familie erfreut !! Sie bleibt in meinem Herzen unvergessen. (Bild unten in den Fünfzigerjahren: Der Bub rechts war ich)
Freitag, 8. Januar 2016
Letzte Spuren
Vor nun bald zehn Jahren ist mein Halbbruder Fritz Denninger verstorben.
"Big Fred !"
"Big Fred !"
Mein Patenonkel Heinrich Hiesinger
und Tante Leni
und Tante Leni
Grabstein meiner Eltern
und der Sippe davor
und der Sippe davor
Meine Tante Käthe und Onkel Hans
1948: Engel der Landsberger Kinder
Kay Bice war nach dem Krieg ein ein Engel für notleidende Landsberger Kinder. Auch ein Stück Stadtgeschichte, was nicht vergessen werden sollte.
Donnerstag, 20. November 2014
Care Pakete für LL
Auch ein Stück Stadtgeschichte ist die amerikanische Familie Bice, welche nach dem Krieg Care-Pakete aus ihrer Heimatstadt in den USA nach Landsberg schicken liessen. Meine Mutter konnte gut englisch und stellte damals den Kontakt zu der tief gläubigen Familie Bice her, welche mit der "Besatzungsmacht" in LL wohnte. Sie sahen die Not in der Bevölkerung und halfen sehr grosszügig. Die Freundschaft blieb bis zu Mutters Tod bestehen und das Ehepaar Bice besuchte noch ein paarmal LL
Stadtpfarrer Niklas, meine Mutter und John Bice 1976 |
Das Ehepaar Bice mit meiner Mutter 1977 |
Meine Tante Käthe, Hella von Nolcken, meine Mutter, John Bice 1977 im Schloss Pöring. |
Samstag, 28. Juni 2014
Am Stausee
Oben: In der Oberau mit Blick
auf Pitzling.
Der Junge mit der
Hochwasserhose war ich einst.
Rechts: Der Stausee von Pitzling in Richtung Oberau gesehen.
Klein Helmut
Könnt
ihr euch an Klein Helmut (Helmut Werner) vom Circus Krone und der Fernsehserie "Salto Mortale"
erinnern?
Wusstet
ihr, das er in Landsberg zur Schule ging und dort auch eine Lehre machte, bevor
er den Weg zum Circus fand.
Er
war ein Schulkamerad meines
Bruders.
Geboren 1935 - lebt nun in einem Alten- und Pflegeheim in der Schweiz. Ich habe ihn dort im Jahr 2014 noch besucht, ein halbes Jahr später verstarb er.
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