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Freitag, 11. November 2022

Brief meiner Mutter vom 20.9.1980

Aus einem Brief meiner Mutter vom 20.9.1980:

Ich denke heute, inzwischen 21.9., viel an die Zeit vor 30 Jahren zurück. Welche unruhige Zeit im Krankenhaus, weil sich die Wehen nicht einstellen wollten, die den neuen Erdenbürger auf diese Welt befördern sollten! Alles wurde angewandt, schließlich musste Vater mich auf ärztliche Verordnung spazieren führen, Wege wenn möglich mit Treppen. Die Treppen von der Sandauer Vorstadt zum Hohen Kreuz sind mir ein Trauma geblieben, so oft und mit Beschwerden habe ich sie erklommen. Ich glaube, ich habe sie später nie mehr benutzt. So erklommen wir sie auch am Vormittag der Niederkunft und setzten uns anschließend auf die erste Bank am Hang beim Lechsteg. Wir waren beide etwas bedrückt, denn wenn wieder erfolglos, sollte operiert werden, Da, ein hoffnungsvolles Omen; ein Kaminkehrer ging an uns vorbei. Man mag uns heute abergläubisch belächeln, wir sprangen auf und gingen zum Krankenhaus zurück. Zwei Stunden später kam ein Riese von Kind zur Welt, das warst Du. Der Chefarzt Dr. Sedelmayer sagte staunend; "Ein mords Bua!" Vater war sehr aufgeregt über dieses Ereignis, er hat dann gleich Urlaub genommen. Und so nahm Dein Erdenleben seinen Lauf.
Getauft wurde gleich im Krankenhaus. Du bekamst den Namen von Deines Vaters liebsten Lehrers: Peter, nach Peter Dörfler. Die Namen meiner beiden Brüder Hans und Heinrich wurden drangehängt.
Zum Einstand in die Wohnung wurde ein kleines Fest gefeiert; Fips (Dr. Seitz-Reinlein), Marianne (Dr. Marianne Seidlmayer), und Ursel Lehmann (Rechtsanwältin und Mutter von Ingo, welcher einen Monat vor mir zur Welt gekommen war) waren die Gäste. Der Konsum war bescheiden, es gab Bratwürste und nach Wunsch Bier oder Wein. Die Verwandtschaft kam gruppenweise, einmal die Hitzlers und dann der Hiesingerclan. Am begeisterten über den Zuwachs war Dein Bruder Fritz. Er gab Dir der Reihe nach die unterschiedlichsten Kosenamen wie Churchill -wie dick-, Engelshaar, Dicker und erstmalig tauchte der Name Peti auf, der Dir für die ganze Kindheit blieb und der sogar heute noch manchmal herumgeistert. Die Säuglingspflege war für mich aufregend, nach fünfzehn Jahren hatte ich alles vergessen. Doch Du wurdest gross und wuchsest und wuchsest ohne Einhalten.
So hänge ich heute meinen Gedanken nach und sie schweifen meist in der Erinnerung. Es sind heute besonders milde Gedanken, so mild, wie dieser Altweibersommer, der unseren Garten erfüllt und dessen sanfte Sonne mir auf die Schreibmaschine scheint. Sie will mir sagen, das in der Entfernung, seis Zeit oder Ort vieles vergoldet erscheint, was es wohl in Wirklichkeit nicht war. Aber wert wars, es erlebt zu haben.
Ich habe schon ewig keinen Brief mehr geschrieben, Du musst an Stil und Tippfehlern einiges nachsehen. Er sollte zum nüchternen Geldgeschenk ein Gegengewicht darstellen.

Alles Gute und Glück auf Deinen Wegen

Deine Dich liebende Mutter
Sofia Burger

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