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Samstag, 28. Juni 2014

Gespenster

Gespenster
Noch nicht lange wohnten wir in dem Haus, das so freundlich auf dem Hügel steht, umgeben von Ulmen, die am Straßenrand zu ihm hinführen und von Apfelbäumen, Flieder- und Jasminbüschen auf dem Rasen des Gartens. Ungewohnt war uns noch, daß wir in einem Bau wohnen, der ganz aus Holz besteht und aus starken Bohlen gefügt ist, noch wußten wir nicht, fühlten es nur, daß wir in den Räumen von einem Material umgeben waren, das nicht wie der Stein erloschenes Leben ist, sondern noch einen Teil der atmenden Wärme und der verborgenen Lebenskraft enthält, die von den Bäumen stammt, aus denen es gewonnen wurde. In dem geräumigen Wohnzimmer, das wir gemütlich eingerichtet hatten, fühlten wir uns geborgen, wenn das warme Licht der Leselampe die hellen Tapetenwände erschimmern ließ und am gemaserten Holz der Kassettendecke verdämmerte.
Uns störte es auch nicht, wenn ab und zu ein Knistern zu vernehmen war, das sich gelegentlich irgendwo regte und das wir dem Umstand zuschrieben, daß die Winterkälte draussen und die ihr wehrende Ofenwärme das Balkengefüge zu fast unmerklichen Bewegungen veranlassen mochte, die ganz natürlich den physikalischen Gesetzen entsprachen. Nach einigen Wochen, als der Raum mit Wärme gesättigt war, schien sich das Knistern verloren zu haben. Vielleicht waren wir auch die Regungen gewöhnt, die allem Lebendigen, wozu auch unser Haus gehörte, eigen sind, so wie wir auch das Ticken der Schwarzwälder Uhr nicht mehr hörten, die in der Ecke unaufhörlich ihr Pendel bewegte.
Eines Nachts jedoch erwachten wir von einem neuen, bisher nicht gehörten Geräusch. Ein deutliches unaufhörliches Summen und Brummen war zu vernehmen, das uns unerklärlich war. Schließlich verließ ich das Bett und überzeugte mich, daß es mehr oder weniger in allen Räumen zu hören war. Ich trat auf den Balkon, in der Hoffnung, ausserhalb des Hauses die Ursache des Tönens zu ergründen. Doch tiefes Schweigen lag über der nächtlichen Natur. Der Rauhreif bedeckte wie mit Zuckerguss die Äste der kahlen Bäume und umkrustete die Drähte der elektrischen Leitungen, die nun im Mondlicht schimmerten wie Perlenschnüre. Eine empfindliche Kälte war in dieser Nacht hereingebrochen und ließ erst jetzt so recht erkennen, daß sich die Macht des Winters in grimmige Formen kleiden wollte.
Ratlos starrte ich hinauf zum fahlen Mond und fragte mich vergeblich, was das aufdringliche Summen zu bedeuten habe. Dabei fasste ich unwillkürlich den bereiften Draht ins Auge, der vom nächsten Mast zum Dach des Hauses führte. Auch von ihm schien ein feines Summen auszugehen, das dort sonst nie zu hören war. Rasch eilte ich hinauf unter den Dachstuhl und lauschte: Hier war das Summen fast ein Brausen und nun war mir alles klar. Der Rauhreif war dem elektrischen Strom, der unsichtbar durch die Drähte stürmte, ein Hindernis, das knisternd und brummend überwunden wurde.
Lachend erklärte ich meiner Frau das Phänomen, dessen Erklärung sie nicht rechtüberzeugen konnte. Darüber mißmutig geworden, wies ich mit sachlichem Ernst darauf hin, daß das das Haus sich ganz gut mit einer Geige vergleichen lasse. Wenn über dem hölzernen Gefäß ein Vibrieren erzeugt werde, könne ein Ton entstehen, der durch die Resonanz sich durch das ganze Haus verbreite. Es sei nur gut, daß solche Töne nur ausnahmsweise in Erscheinung träten, denn solcher Lärm entstünde, wenn alle Kräfte, die sonst schweigend und unbemerkt im Weltall ihr Unwesen treiben, plötzlich geräuschvoll ihr Dasein bekunden würden.
Das hatte sich im Winter ereignet. Nun war es Frühling geworden. Eines Abends, als ich, von einem heftigen Frühlingswind umwogt, nach Hause kam, wurde ich schon am Gartentor von meiner Frau mit Vorwürfen empfangen, warum ich so lange ausbleibe. Im Hause könne sie es allein nicht mehr aushalten, seit einer Stunde wisse sie nicht mehr, was in ihm vor sich gehe. Wortlos begaben wir uns in das Wohnzimmer, setzten uns in das abendliche Schweigen und lauschten.
Alsbald vernahmen wir ein diskretes, aber vernehmliches Klopfen, das sich unregelmäßig wiederholte und unerklärlich war. Zuweilen war es sogar, als ob Schritte auf dem Balkon dröhnten. Gespensterhaft neigten sich vor den Fenstern die Wipfel der Bäume im Winde. Ich dachte an (Borken-) Käfer oder Tiere, die sich irgendwie zu schaffen machten, doch machten sich gleichzeitig Erinnerungen an meine Jugendzeit breit, in der man mir von gespensterhaften Erscheinungen erzählt hatte. Es war kein Zweifel, daß sich meine Frau fürchtete und die Schauer dieser Furcht berührten auch mich. Mit Wehmut dachte ich daran, wie es sein würde, die liebgewonnenen Räume fernerhin nicht mehr zu bewohnen, wenn die Welt der Dämonen, der unkontrollierbaren Kräfte, hier Einzug halten würde. Doch ermahnte ich mich und wies daraufhin, daß man zunächst das Haus gründlich durchsuchen müsse. Bewaffnet mit einem Stock, zog ich durch alle Räume, lauschend und bereit, dem Störenfried entgegenzutreten.
Nichts fand sich, kein Mensch, kein Tier, kein Gegenstand, der sich bewegte. Von Neuem setzten wir uns hin und lauschten. Es klopfte und hallte beharrlich weiter, diskret und beharrlich, unheimlich genug. Draussen neigten sich die Wipfel der Bäume im Frühlingswind.
Ein Gedanke durchzuckte mich. Rasch erhob ich mich und trat hinaus. Die Nacht war mittlerweilen hereingebrochen. Ich schritt, lauernd und witternd wie ein Tier, das sich in Gefahr wähnt, um das Haus herum. Nicht regte sich. Tastend drückte ich die befestigten Fensterläden. Sie bewegten sich nicht, doch glaubte ich zu bemerken, daß sich einige um ein geringes gelockert hatten. So holte ich Holzstücke und trieb sie als Keil in die Lücken, so fest ich konnte. Als ich das Haus wieder betrat, waren die Geräusche verstummt. “Der Frühlingswind hat uns erschreckt”, sagte ich, “er hat die Fensterläden gelockert und damit Geräusche erzeugt, in einem Hause, dessen Holz gegen Geräusche empfindlich ist, wie das Gehäuse einer Geige.”
Seitdem sind die Gespenster endgültig verschwunden. Nichts stört mehr den Frieden des Hauses und würdevoll lagern die Bäume und Büsche um das Haus wie stille, friedliche Wächter. Wenn der sanfte Wind durch ihre Kronen rauscht und die Düfte ihrer Blüten in die Räume der Häuser trägt, dünkt uns alles gut.
Alfons Burger (Juni 1953)

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